23. Februar 2024
6 Minuten
Einleitung
Mit meinen über 20 Jahren Erfahrung im Bereich der Softwareentwicklung war ich regelmäßig in der Rolle eines Tech-Leads und somit unmittelbar an der Auswahl von freiberuflichen Softwareentwicklern und Freelancern betraut. Oftmals werde ich vom Projektleiter direkt in den Recruiting-Prozess eingebunden und sollte aus fachlicher Sicht die Bewerber begutachten. Über meine Karriere hinweg habe ich sicherlich mehr als 250 verschiedene Profile von Freelancern zu Gesicht bekommen.
In diesem Post möchte ich gerne mein Vorgehen mit dir teilen. So kannst du mit Sicherheit Rückschlüsse ziehen, was ein besonders gutes Profil ausmacht, wie man sich in einem Interview verhält und welche Faktoren meine Entscheidung beeinflussen.
Tipps im Verlauf des Bewerbungsprozesses
Um zu verstehen, was einen optimalen Lebenslauf und ein gutes Interview ausmacht, musst du den Auswahlprozess von Freiberuflern kennen. Natürlich hat jedes Unternehmen eigene Variationen, aber im Groben läuft alles ähnlich ab:
Auswahl von Profilen
Zunächst schreibt man die Stelle aus und bekommt nach kurzer Zeit Profile von möglichen Kandidaten. Je nach aktueller Marktlage, den gesuchten Technologien und den Marktzugang des Unternehmens können das relativ wenige aber auch sehr viele Profile sein. Abhängig von der Anzahl der Profile, die ich sichten muss, entscheide ich, wie detailliert die Sichtung stattfindet.
Ich öffne ein Kandidatenprofil und scrolle erstmal grob von unten nach oben, um einen ersten „Gesamteindruck“ und Überblick zu erhalten.
Ich sehe mir auch das Foto an und lasse es auf mich wirken. Danach überfliege ich die Technologien und gleiche diese mit dem Tech-Stack ab, der in den aktuellen Projekten verwendet wird. Ich informiere mich über die Persönlichkeit und stöbere ein wenig in den vorgestellten Projekten.
Die wohl größte Green-Flag hat weniger mit der Person zu tun, sondern mit dem Tech-Stack. Als Tech-Lead ist es mir besonders wichtig, dass die Person möglichst schnell in das Team integriert werden kann und produktiv ist. Daher prüfe ich zunächst, ob der Kandidat einschlägige Erfahrung in dem vom Projekt benötigten Tech-Stack vorweisen kann.
Ein gutes, sympathisches und professionelles Bewerbungsfoto verstärkt einen positiven Gesamteindruck. Das ist sehr oberflächlich, aber neben der subjektiven Wahrnehmung entscheide ich auch bei einem Auswahlprozess von Freelancern nach objektiven Kriterien.
Grundsätzlich ist es mir wichtig, dass der Lebenslauf und die Projektübersicht übersichtlich aufgebaut sind. Gleichzeitig springen einem Profile ins Auge, die gut oder hervorragend gestaltet sind. Natürlich hängt die Auswahl nicht nur davon ab. Ein Senior-Entwickler mit einem sehr hässlichen oder einfachen Profil, wird von mir mit Sicherheit in ein Interview eingeladen. Ein Junior mit einem schlechten Profil eher weniger. Ist bei dem Junior aber das Profil logisch gegliedert und gut geschaltet, erhöht das mit Sicherheit die Chancen, in die nächste Runde zu kommen.
Ein gutes Profil enthält für mich folgende Informationen:
- Ein gutes Foto
- Informationen über die Ausbildung / Studium
- Berufliche Laufbahn
- Auflistung über den Tech-Stack, gerne auch das Kenntnis-Level, also ob man darin Anfänger, Profi oder Experte ist
- Auflistung von Projekten inkl. der darin eigenen Rolle, Tätigkeit, einer Projektbeschreibung und den dort eingesetzten Technologien
- Etwaige Branchen-Kenntnisse
- Links zu öffentlichen Profilen (wie GitHub oder LinkedIn)
Viele Entwickler glauben, je mehr Technologien auf dem Tech-Stack, desto besser. Das ist oftmals ein Trugschluss. Ich validiere – in Relation zu der Berufserfahrung des Kandidaten – ob der Techstack stimmen kann oder nicht. Werden sehr viele Technologien und Programmiersprachen erwähnt, denke ich unweigerlich, dass der Kandidat wohl überwiegend an der Oberfläche gekratzt hat und wenig Detailwissen verfügt. Hat jemand nur eine geringe Anzahl an Programmiersprachen und Technologien aufgeführt, entsteht bei mir potenziell ein Gefühl, dass der Kandidat in diesem Bereich ein Experte ist.
Ich prüfe immer, wie lange der Kandidat auf einem Projekt war. Am liebsten sind mir Kandidaten, die eine längere Zeit, z. b. länger als 12 Monate, auf einem Projekt sind. Dabei ist es kein Problem, wenn mal ein kurzes Projekt mit dabei ist. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass man einen guten Kandidaten erwischt, ist bei den Leuten höher, die länger auf einem Projekt „durchgehalten“ haben. Auch bin ich mir dann sicher, dass der Einarbeitungsaufwand nicht gleich vergebens ist, wenn der Kandidat nach wenigen Wochen zum nächsten Projekt springt.
Für mich ist es immer wichtig, dass im Profil und den Projekten ein roter Faden zu sehen ist. Es ist kein Problem, wenn ein Desktop-Entwickler nach ein paar Jahren in die Web-Welt eingetaucht ist und dabeigeblieben ist. Aber wenn jemand zwischen Technologien, Rollen und Branchen hier und her wechselt ohne einem erkennbaren „roten Faden“, wirkt das für mich wenig stimmig.
Einladung ins Interview
Habe ich das Profil gesichtet, empfehle ich dem Projektleiter, ob die Person in ein Interview eingeladen wird oder nicht.
Das Interview folgt keinem festen Schema, sondern ist mehr ein offenes Gespräch. Nichtsdestotrotz versuche ich folgende Aspekte zu beleuchten:
Einleitung
Das Interview startet oft mit einer Projektvorstellung. Ebenso bekommt der Bewerber die Möglichkeit, sich, seine Person und Fähigkeiten vorzustellen. Der lockere Einstieg gilt ein wenig als gegenseitige „Aufwärmphase“ und als ein erstes „Beschnuppern“.
Detailfragen zum CV
Während es Gespräches scrolle ich durch das CV und stelle ein paar Detailfragen. Sehr gerne gehe ich entweder auf das letzte Projekt ein oder auf ein Projekt, welches fachlich und technisch am besten zu dem ausgeschriebenen Projekt passt.
Technische Detailfragen
Passend zu dem Tech-Stack stelle ich immer drei bis fünf detaillierte technische Fragen.
So stelle ich schnell fest, wie detailliert sich die Person mit den im Projekt eingesetzten Technologien beschäftigt hat.
Kommunikationstalent
Ich prüfe während des Gespräches, wie gut oder schlecht der Kandidat in der Lage ist zu kommunizieren. Wie ist die Sprache? Geht er auf Fragen ein und beantwortet diese klar und deutlich? Ist in dem aktuellen Projekt eine Fremdsprache erforderlich, z. B. Englisch, wird ein Teil des Gespräches in der jeweiligen Projektsprache durchgeführt. Doch keine Angst: Man muss die Sprache nicht perfekt beherrschen können. Es geht viel mehr darum, ob man sich ausdrücken kann.
„Vibes“
Während des Gespräches spürt man unweigerlich die Vibes, die im Zusammenspiel mit dem Kandidaten, den Projektleiter und mir vorherrschen. Man merkt recht schnell, ob man auf der gleichen Wellenlinie schwingt oder nicht. Natürlich gibt es Menschen, mit denen man erst mit der Zeit warm wird. Aber eine Red-Flag wäre, wenn zwischen den Parteien kein Gespräch zustande kommt und der Funke gegenseitig nicht überspringt.
Probeaufgabe
Ich bin ein großer Fan von Probeaufgaben und empfehle diese all meinen Kunden. Eine Probeaufgabe muss immer Timed-Boxed sein und zu dem aktuellen Projekt-Tech-Stack passen.
Hier ein Beispiel: Bei einem meiner letzten Projekte suchten wir einen Fullstack-Entwickler für C# & React. Die Probeaufgabe war die Entwicklung einer Oberfläche für die Division von zwei Zahlen. Dabei sollte eine React-SPA und ein Backend in .NET entwickelt werden. Die Berechnung musste zwingend im Backend durchgeführt werden. Die Aufgabe musste in zwei Stunden erledigt werden.
Gibt er Kandidat die Aufgabe ab, bewerte ich folgende Punkte:
- Wurde die Aufgabe in der Zeit abgeschlossen oder hat sich der Kandidat verzettelt?
- Wurde der Kandidat fertig und funktioniert die Anwendung?
- Wie ist die Oberfläche?
- Wie ist die Codequalität?
- Wurde ein einheitlicher Codestyle angewendet?
- Gibt es Tests? Falls ja, machen Sie Sinn?
- Wie wurde die Architektur gestaltet?
- Wie ist der Gesamteindruck der Lösung?
Finale Entscheidung
Das Profil, das Interview und nicht zuletzt die Probeaufgaben führen zu einer Gesamtmeinung und -einschätzung. Dabei spielen alle Eindrücke, gesammelt aus dem CV, dem Interview und der Probeaufgabe eine Rolle. Es gibt sog. Red-Flags, die einen Kandidaten aus dem Rennen werfen können. Aber grundsätzlich entscheiden viele kleine Faktoren und nicht zuletzt das Gefühl darüber, ob jemand in das Team passt oder nicht.

von Mariusz